100-Mile Bike Ride

Dienstag, 27.09.2022

Yes Theory! Seek Discomfort!

Der folgende Eintrag trägt das Motto Seek Discomfort. An einem Freitagabend vor zwei Wochen machte ich mich auf den Weg nach Midtown Manhattan, um an einem „Yes Theory Meetup“ teilzunehmen. 

Yes Theory, ein ursprünglich von vier Jungs aus Kalifornien gegründeter YouTube Kanal folgt den Leitsätzen einfach mal JA zu sagen, aus seiner Komfortzone rauszukommen, seine persönlichen Limits zu erfahren und die Lebensgeschichte wildfremder Menschen zu erfahren. Über die Jahre hat sich eine weltweite Community gebildet, die die Philosophie der Gründer teilt, sich der Bewegung angeschlossen hat über seinen eignen Schatten zu springen und regelmäßig Treffen stattfinden lässt.
In einer überraschend sehr familiären Umgebung fremder Menschen verbrachte ich den Abend bei einigen Bieren, einem typisch-amerikanisch-zuckrigen Dessert und kleinen Discomfort-Challenge Spielchen. Meine erste Challenge bestand darin 10 fremden Menschen einen High-Five Handschlag zu geben. Ziemlich unangenehm zu Beginn, aber spaßig zugleich.

Long story short, an diesem besagten Abend lernte ich Hugo kennen. Ein in Mexiko geborener First Generation Immigrant, der bereits seit seinem 4. Lebensjahr in New York lebt und eine absolute Liebe fürs Fahrradfahren hat. Da ich ja nun auch ein Fahrrad habe, dachte ich mir kurzerhand ihn den Donnerstag drauf zu fragen, ob er nicht Lust hätte am Wochenende eine kleine Radtour zu machen.

Aus der anfänglich, schön-klingenden Idee eine gemütliche Fahrradtour zu machen, wurde innerhalb von weniger als 24 Stunden der Plan geschmiedet durch 4 US-Bundesstaaten mit dem Fahrrad zu reisen! Angefangen in Springfield, Massachusetts, sollte es quer durch Connecticut zurück nach New York und über den Hudson-River nach New-Jersey gehen. Knapp 160 Meilen innerhalb 2 Tage sollten abgespult werden. Eine Meile entspricht 1,6 Kilometern – sprich ich habe mich auf eine 250km lange Tour eingelassen. An 2 Tagen? Ich? Mit meinem Fahrrad? Aber ich konnte doch nicht NEIN sagen…

Mit einem sehr provisorisch gepackten Rucksack, einem hoffentlich taugenden Fahrrad und voller Euphorie geladen ging am Samstagmorgen um 5 der Wecker, um kurz vor 7 der Bus und um 10 saß ich bereits in Massachusetts auf meinen zwei Rädern, um den Weg zurück nach New York anzutreten.

Ohne jegliche Vorfälle erreichten wir nach einigen Pausen, einer stundenlangen Fahrt und 96 abgespulten Kilometern das kleine Dorf Guilford in Connecticut. Ein im Vorhinein gebuchtes und mitten im Wald ablegendes Haus sollte die beste Airbnb-Erfahrung meines Lebens werden. Völlig erschöpft, ausgehungert, von Krämpfen geplagt und mit einem wunden Ar*** wurden wir von der 75-jährigen Beth mit einem Glas Wein, einer frisch aufgesetzten Squash Soup und Boston Brown Bread empfangen.
Abseits jeglicher Erwartungen verbrachten Hugo und ich den gesamten Abend mit ihr, ihrer über 80-jährigen Schwester, ihrem Bruder und Ahmad am Essenstisch und tauschten unsere Life-Stories aus. Beth berichtete uns, dass ihr Mann vor wenigen Jahren verstorben sei und sie seitdem Reisende aus der ganzen Welt bei sich aufnimmt und darin ihre neue Erfüllung gefunden hat. Ahmad, ein zweifacher 38-jähriger Familienvater und Cyber-Security Student aus Saudi-Arabien wohnt bereits seit mehreren Wochen im Haus und ist einer von 400 Gästen, die Beth bereits über die Jahre beherbergt hat.

Beth Bruder, ein anfangs skeptisch-grummeliger Ami, wachte jedoch nach meinem mitgebrachten, deutschen Bier und dem in den Raum geworfenen Thema seiner eigenen Maple Syrup Farm auf. Nachdem er uns ein wenig darüber berichtete, ergriff ich die Gunst der Stunde und fragte ihn, ob es möglich wäre seine Ahornsirup Farm zu besichtigen. Freudig über meine Nachfrage, aber ohne einen Kommentar stand er auf und verließ das Haus . . . hatte ich etwas Falsches gesagt? Nein, denn er kam kurzerhand mit einem kleinen Gläschen Ahornsirup und mit Sirup überzogenen Walnüssen für uns wieder. Den Termin für den kommenden Morgen machten wir selbstverständlich auch noch aus! Beth Schwester war recht still, aber ziemlich niedlich. Wie wir am nächsten Morgen erfuhren, ist ihr Mann leider vor kurzem auch verstorben. Trotzdem hat sie den Abend wohl sehr genossen.

Bevor wir Beth wunderschönes Anwesen am nächsten Morgen wieder verließen, tranken wir noch zwei Kaffee an ihrem vor dem Haus angelegten Teich – einen klassischen Americano von ihr und einen 20-Minuten mit Kardamom kochenden, arabischen Kaffee von Ahmad.
Mit von ihr geschmierten Bagels und mit Pferdesalbe eingecremten Beinen, (sie bestand drauf) ging es schlussendlich weiter zur Farm.
Danke Beth & Danke für deine Worte auf Airbnb:

„This was such a fun guest! Combine 1 German with 1 Mexican a Saudi and local host family and the result is a fun and dynamic evening!”

Auf der Maple Syrup Farm wurde uns der Prozess des Ahornsirups vom Blatt bis zur Abfüllung ins Glas detailliert beschrieben. Durch ein kilometerlanges, an Ahornbäumen montiertes Schlauchsystem quer durch den Wald wird im Frühjahr jedes Jahres das Sirup gewonnen und im Zuckerhaus verarbeitet. Eine super interessante und spannende Erfahrung, die definitiv auch in Erinnerung bleibt. Auf seinen Traktor habe ich mich auch mal setzten dürfen.

Auf dem weiteren Weg der Reise stoppten Hugo und ich für einige Stunden an der weltbekannten Yale-University in New Haven. Ziemlich verschwitzt und wahrscheinlich auch stinkend, aber dennoch getarnt als Elite-Studenten statteten wir der Library der Uni einen Besuch ab. Ein sehr beeindruckendes Gebäude, welches uns beide unabhängig voneinander an Hogwarts von Harry Potter erinnerte. Anschließend stärkten wir uns noch mit einer Pizza und verließen die Stadt auch schon wieder.

Aus den ursprünglich geplanten 160 Meilen und dem Ziel New York wieder zu erreichen, wurde leider nichts. Es war einfach zu viel und wir wollten auf der Tour öfters stoppen, um abseits vom Fahrradfahren etwas zu erleben. Dennoch bin ich ganze 100 Meilen (160Km) an 2 Tagen von Springfield, Massachusetts bis nach Milford, Connecticut, gefahren!

Auch wenn ich Tage später noch Muskelkater hatte, bin ich so froh JA zu diesem Trip gesagt zu haben. Ich habe so viel vom Land gesehen, bin durch abgelegene Vororte (mit Teils Trump Flaggen) gefahren, habe die traurige Lebensgeschichte eines aus Mexiko nach Amerika eingewanderten erfahren dürfen und habe mit einer amerikanischen Familie den Abend verbracht. Der Gedanke von SeekDiscomfort und YesTheory wurde gelebt.

See you next time,

Tim 

P.S. Watch the AFTERMOVIE!